Intrakranielle Stents beim Gemeinsamen Bundesausschuss

„Wir werden das Ministerium auf die ethischen und forensischen Schwierigkeiten hinweisen“

Zuletzt aktualisiert: Dienstag, 18. Oktober 2016

Am 15.09.2016 hat der Gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA) in seiner öffentlichen Sitzung über die Erstattungsfähigkeit von Intrakraniellen Stents abgestimmt und denEinsatz von Stents zur Behandlung intrakranieller Gefäßstenosen weitgehend ausgeschlossen“ (Pressemitteilung des G-BA vom 15.09.16). Mit diesem Termin ist ein vorläufiger Schlusspunkt unter eine gesundheitspolitische Diskussion gezogen, in die die Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie  intensiv involviert war. Professor Dr. Bernd Eckert, Chefarzt Neuroradiologie an der Asklepios Klinik Hamburg Altona und Vizepräsident des Berufsverbandes Deutscher Neuroradiologen (BDNR), hat als klinischer  Experte für die Deutsche Krankenhausgesellschaft  an den Beratungen im G-BA teilgenommen, die sich über nahezu zwei Jahre hingezogen haben. Hier skizziert Prof. Eckert die wichtigsten Aspekte der Entscheidung.

Die wissenschaftliche Ausgangslage

 Seit der Veröffentlichung der Ergebnisse der Studien SAMMPRIS und VISSIT bestehen Zweifel an der Effektivität der intrakraniellen Stentangioplastie zur Sekundärprophylaxe bei symptomatischen, intrakraniellen Stenosen.  Beide Studien hatten das Ziel zu überprüfen, ob eine intrakranielle Stentbehandlung hochgradiger Stenosen (≥70% Lumeneinengung) zusätzlich zu einer intensivierten medikamentösen Therapie mit dualer Plättchenhemmung  einen günstigen Einfluss auf die Prognose betroffener Patienten hat. Die Studien waren ausschließlich für elektive Behandlungen zur Sekundärprophylaxe nach erstmaligem  ischämischen Ereignis (TIA oder Schlaganfall) konzipiert. Patienten mit einem instabilen neurologischen Zustand, die unter Umständen einer Akutintervention bedurften, wurden explizit ausgeschlossen. Weder in der SAMMPRIS noch in der VISSIT Studie war ein vorausgegangener konservativer Behandlungsversuch der symptomatischen Stenose Voraussetzung für einen Studieneinschluss. Die hämodynamische Relevanz der Gefäßeinengung und die Güte der Kollateralversorgung wurden bei der Patientenselektion ebenfalls nicht berücksichtigt. Die primären Studienendpunkte waren wie folgt definiert:

 SAMMPRIS

• Jeder Schlaganfall oder Tod innerhalb von 30 Tagen nach Randomisierung

• Ischämischer Schlaganfall im Territorium der behandelten Stenose jenseits des 30 Tage Intervalls (2 Jahre geplante Nachbeobachtung)

• Schlaganfall oder Tod innerhalb von 30 Tagen nach einer Revaskularisationsbehandlung der Zielläsion während des Nachbeobachtungszeitraumes

 VISSIT

• Schlaganfall im Territorium der behandelten Stenosen innerhalb von 12 Monaten

• Harte TIA im Territorium der behandelten Stenose von Tag 2 bis 12 Monate nach Randomisierung

 Die endovaskuläre Therapie wurde in SAMMPRIS und VISSIT jeweils mit technisch unterschiedlichen Stentsystemen durchgeführt. In der SAMMPRIS Studie erfolgte die Behandlung mit dem selbstexpandierenden Wingspan® Stent (Stryker Neurovascular, Freemont, CA, USA) und in der VISSIT Studie mit dem ballonexpandierbaren Pharos Vitesse® Stent (Codman und Shurtleff, Raynham, MA, USA).  Die SAMMPRIS Studie wurde im Jahr 2011 aus Sicherheitsgründen abgebrochen, weil im Interventionsarm innerhalb des 30 Tage Intervalls signifikant mehr Schlaganfälle und Todesfälle aufgetreten waren. Auch am Ende der Nachbeobachtungsphase blieb der Vorteil der konservativen Behandlung im Vergleich zur Therapie mit dem Wingspan® Stent erhalten. Die VISSIT Studie wurde im Zuge des Abbruches der SAMMPRIS Studie ebenfalls beendet. Auch hier zeigten die Ergebnisse am Ende der Nachbeobachtungszeit einen Vorteil für ein konservatives Vorgehen im Vergleich zu einer endovaskulären Behandlung mit dem Pharos Vitesse® Stent.

 Standpunkt der Fachgesellschaften: Es bleiben dennoch Indikationen!

 Eine kritische Lesart dieser Studien spricht gegen eine unselektive aber nicht generell gegen die Anwendung dieser Behandlungsmethode. Bei Betrachtung der Ergebnisse der beiden randomisierten Studien mit ihren Rahmenbedingungen und unter Einbeziehung klinischer Erfahrungen bleiben Indikationen, in denen die Stentangioplastie eine sinnvolle und häufig lebensrettende therapeutische Maßnahme ist.  Aus Sicht der neuro/radiologischen und-neurologischen Fachgesellschaften gibt es Patientengruppen, für die die Stenttherapie intrakranieller Stenosen weiterhin möglich sein müsse:

  • Akute Gefäßverschlüsse auf dem Boden einer intrakraniellen Stenose. In dieser       Behandlungssituation ist ohne intrakranielle Stentimplantation in der Regel keine                 verlässliche Gefäßeröffnung zu erzielen.
  • Wiederkehrende Infarkte bei Patienten mit symptomatischen intrakraniellen             Stenosen unter optimierter medikamentöser Therapie (doppelte        Thrombozytenfunktionshemmung, Statintherapie).
  • Hochgradige Stenosen mit einem eindeutig hämodynamischen Infarktmuster

Der Gemeinsame Bundesausschuss ist nicht zuletzt dank der hartnäckigen Interessensvertretung der Fachgesellschaften dieser Sichtweise gefolgt und billigt den Einsatz auf den oben genannten Indikationsfeldern weitgehend.

 So lautet der Beschluss des G-BA vom 15.09.2016 (Quellenangabe siehe unten):

„vom Ausschluss unberührt bleiben:

a) einer intrakraniellen Stenose mit einem Stenosegrad von mindestens 70 %, die nach einem stenosebedingten Infarkt trotz nachfolgender intensiver medikamentöser Therapie mindestens einen weiteren Infarkt erlitten haben.

Die Intervention soll mit ausreichendem zeitlichem Abstand zum letzten Ereignis durchgeführt werden.

b) einem akuten Gefäßverschluss aufgrund einer hochgradigen intrakraniellen Stenose, bei denen alternative Therapiekonzepte nicht in Betracht kommen oder versagen.“

 

Ethisch fragwürdiger Ausschluss von Patienten

 Problematisch und medizinethisch höchst fragwürdig bleibt für uns allerdings die Formulierung des G-BA, wonach das Auftreten eines (weiteren) Hirninfarkts abgewartet werden müsse, bis  ein Stent gesetzt werden dürfe. Problematisch ist ferner aus unserer Sicht, dass nicht bereits eine TIA (transistorisch-ischämische Attacke) ohne bildmorphologischen Infarktnachweis als ausreichende Indikation für das Stenting erachtet wird. In der mündlichen Anhörung der Fachgesellschaften, die Ende Januar vor dem Unterausschuss Methodenbewertung des G-BA stattfand, haben die Vertreter von DRG, DGNR, DGN und DSG genau diesen Punkt betont, leider ohne Erfolg, wie wir jetzt sehen.

 Intervention beim Bundesgesundheitsministerium

 Bis zum In-Kraft-Treten bleiben noch rund zwei Monate,  da der Beschluss noch durch das Bundesministerium genehmigt werden muss, bevor er im Bundesanzeiger veröffentlicht wird. Wir möchten diese Zeit nutzen, um das Ministerium und die Fachöffentlichkeit auf die ethischen und forensischen Schwierigkeiten hinweisen, die sich aus dem G-BA-Beschluss ergeben: Verweigern wir den Patienten die Stent-Behandlung, obwohl sie auch ohne Vorliegen eines bildmorphologischen Infarktnachweises aus unserer Sicht vom Stenting profitieren würden (z.B. bei  einem  Patienten mit Basilarisstenose und rezidivierenden Schwindelattacken, die zu Stürzen führen), machen wir uns ethisch angreifbar. Missachten wir in solchen ausgewählten Fällen den G-BA-Beschluss, der explizit von einem Behandlungsverbot spricht, wird der Eingriff von der GKV nicht erstattet und wir machen  uns unter Umständen  strafbar.

 Leider ist das Thema Intrakranielles Stenting trotz niedriger Behandlungszahlen (wenige hundert Fälle p.a.) als Politikum sehr hoch aufgehängt: Nicht nur, dass die Diskussion im Schatten der allgemein schärferen Beobachtung von Medizinprodukten und ihren Zulassungsbedingungen steht; an der Diskussion um den Intrakraniellen Stent entzündete sich auch der Streit um das 9-Stimmen-Quorum, welches der Gesetzgeber für Leistungssauschlüsse vorsieht. Dieses wurde im ersten Anlauf im Mai dieses Jahres noch nicht erreicht,  weil Ärzteschaft und Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) gegen den Leistungsausschluss in dieser Form gestimmt hatten.

 Die schwierige Einigung in diesem Verfahren wurde von der Leitung des G-BA instrumentalisiert, um politisch Stimmung gegen das Ausschluss-Quorum zu erzeugen. Der politische Druck auf die DKG wurde in  den Tagen vor der Abstimmung auch mithilfe eines eklatant einseitigen Artikels in der Süddeutschen Zeitung, der eine Woche vor der Abstimmung publiziert wurde, stark erhöht.  Schließlich lenkte die DKG ein und stimmte dem Beschluss in dieser Form zu, obwohl die medizinischen Differenzen weiter bestehen.

 Weitere Informationen:

Alle Positionspapiere der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie auf http://www.dgnr.org/de-DE/54/fachinformationen

Die Pressemitteilung des Gemeinsamen Bundesausschusses, der Beschlusstext und die tragenden Gründe für den Beschluss  unter www.g-ba.de