IQTIG-Stellungnahme

Schriftliche Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie zum Entwurf „Methodische Grundlagen V1.0s“

Zuletzt aktualisiert: Freitag, 31. März 2017

Prof. Joachim Berkefeld Universitätsklinikum FrankfurtSchriftliche Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie zum Entwurf „Methodische Grundlagen V1.0s“

Die ausführliche Darlegung der methodischen Grundlagen für die vom IQTIG durchgeführten Qualitätssicherungsverfahren ist grundsätzlich zu begrüßen. Die Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie e.V.(DGNR), Fachvertretung für die in Deutschland praktizierenden Radiologen mit der Schwerpunktbezeichnung Neuroradiologie mit aktuell über 1.000 Mitgliedern,  ist von den Qualitätssicherungsverfahren auf dem Gebiet der invasiven Behandlung von Karotisstenosen betroffen.

Aus der Anwendersicht der DGNR – der  sich der Berufsverband Deutscher Neuroradiologen e.V. (BDNR) angeschlossen hat, sowie die Deutsche Röntgengesellschaft e.V., die Deutsche Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und minimal-invasive Verfahren (DeGIR) und die Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie (GPR) – ergeben sich folgende kritische Anmerkungen zum Methodenpapier des Instituts:

Die Bestrebungen, überwiegend aus Studien mit hohem Evidenzniveau abgeleitete Indikatoren mit definiertem Referenzbereich zu verwenden, ist wissenschaftlich folgerichtig, verlangt jedoch konsequenterweise eine Datenerhebung analog zu den Studienendpunkten, die für die Behandlung von Karotisstenosen insbesondere Follow-up-Daten nach 30 Tagen und im mehrjährigen Verlauf einschließen. Die derzeitige, historisch gewachsene Qualitätssicherung umfasst nur Komplikationsraten während des Krankenhausaufenthalts. Erfahrungen aus der Betreuung von Studien und Registern zeigen, dass eine möglichst lückenlose und zuverlässige Erfassung von Follow-up-Daten mit einem erheblichen und kostenintensiven Monitoring-Aufwand verbunden ist. Es ist zu bezweifeln, dass sektorenübergreifend ermittelte Sozialdaten ausreichen, exakte und einem Eingriff klar zuzuordnende Angaben über neurologische Defizite und Re-Stenosen im Follow-up zu gewinnen.

Gerade Studien mit hohem Evidenzniveau suggerieren lange Zeit gültige Erkenntnisse. Die aus den Karotischirurgie-Studien abgeleiteten Referenzwerte für Komplikationsraten sind überwiegend älter als 20 Jahre und berücksichtigen nicht ausreichend die Fortschritte der chirurgischen, endovaskulären und medikamentösen Therapie.  

Es ist ein Verdienst der bisherigen Qualitätssicherung, dass durch detaillierte Datenerhebung auch eine Versorgungsforschung möglich war, die zur Vermeidung risikoreicher Vorgehensweisen in der Gefäßchirurgie und zur Senkung der Komplikationsraten maßgeblich beigetragen hat. Für die erst seit 2012 neu hinzugekommene endovaskuläre Behandlung stand dieser Prozess noch am Anfang. So haben sich die Indikationen für das Stenting anders entwickelt als diejenigen der Karotischirurgie. Prozentual werden heute deutlich mehr Notfälle mit akutem Schlaganfall mit Stents als gefäßchirurgisch behandelt. Derartige Notfalleingriffe sind jedoch in der für elektive Behandlungen entworfenen Qualitätssicherung bisher schon unzureichend abgebildet, was durch die Datenreduktion noch weiter verschärft wird. Es ist zu erwarten, dass mangels geeigneter Primärdaten auch die Risikoadjustierung für diese Indikationen inadäquat ist. Angesichts der aus Subgruppenanalysen randomisierter Studien und Fallserien bestehenden Literatur wird es schwierig sein, neue Indikatoren mit einem ausreichend Evidenz-basierten Referenzbereich zu entwickeln.   

Das durch Streichung von Datenfeldern im Erhebungsbogen schon umgesetzte Prinzip der Datensparsamkeit entlastet zwar die Anwender, führt jedoch auch dazu, dass technische Details der Eingriffe und die Art der Komplikationen nicht mehr ausreichend ermittelt werden. Damit lässt man sich die einzigartige Gelegenheit einer möglichst vollständigen Datenerfassung in einem verpflichtenden Register entgehen. Verantwortungsbewusste Anwender werden nicht entlastet, da sie parallel ohnehin Qualitätssicherungs-Register von Fachgesellschaften oder anderen Forschungseinrichtungen bedienen. Auch die Datenschutzinteressen der Patienten können nur begrenzt als Rechtfertigung für Datensparsamkeit gelten, wenn gleichzeitig umfangreich und ohne entsprechende Aufklärung auf Krankenkassendaten zugegriffen wird.

Für die Definition von Qualitätsindikatoren werden Instrumente für die Bewertung von Studien, systematischen Reviews und Leitlinien benutzt, die auch aus der Leitlinienentwicklung bekannt sind. Neben der für die Leitlinien zuständigen AWMF prüft das IQWiG im Auftrag des GBA, ob die Evidenz für ein Behandlungsverfahren für die Finanzierung durch die gesetzliche Krankenversicherung ausreicht. Das IQTIG hat die Aufgabe, nach ähnlichen Prinzipien Planungs- und vergütungsrelevante Qualitätsindikatoren zu entwickeln.  

Erfahrungen mit dem IQWiG in der Frage des Stentings intrakranieller Stenosen zeigen im Unterschied zu den S3-Leitlinien der AWMF eine geringere und wenig transparente Berücksichtigung fachlicher Expertise. Ähnlich wie dies jetzt für das IQTIG geplant ist, können Expertenmeinungen herangezogen werden, müssen jedoch im weiteren Verfahren nicht berücksichtigt werden. So besteht die Gefahr, dass medizinische Behandlungen lediglich nach der Studienlage beurteilt werden, von der die gute medizinische Praxis in Sondersituationen abweichen kann.

Es ist unbedingt eine enge Verzahnung zwischen den Instituten, die den G-BA beraten, und der Leitlinienarbeit der AWMF zu empfehlen, um im Methodenpapier angesprochene Nebenwirkungen einseitig nach formaler Literaturrecherche definierter Qualitätsindikatoren möglichst zu vermeiden.

Im IQTIG-Papier klingt eine mangelnde Patientenzentrierung der bisherigen Qualitätssicherung an. Insbesondere medizinischen Experten wird dabei unterschwellig unterstellt, nicht den Interessen des Patienten zu dienen, sondern durch Einflüsse der Industrie, dem Streben nach einem hohen Einkommen oder fachlichem Ansehen fehlgeleitet zu sein. Es mag derartige Interessenkonflikte geben, die benannt werden müssen. Neben den hohen Anforderungen an die ärztlichen Behandler vermissen wir aber auch Anmerkungen zur Verantwortung des Patienten für seine eigene Gesundheit: Sie können Patienten mit asymptomatischen Karotisstenosen nur dann erfolgreich konservativ behandeln, wenn diese auch bereit sind, einen Beitrag hin zu einem gesünderen Lebensstil zu leisten. Wir stehen täglich vor der Aufgabe, mit erhöhten Risiken behaftete Interventionen bei Patienten durchzuführen, die sich im fortgeschrittenen Stadium einer schweren, generalisierten Atherosklerose befinden.

Diese ungünstigen Ausgangsbedingungen, wie sie sich v.a. an Universitätskliniken und anderen Maximalversorgern als „Letztinstanz“ häufen, müssen in der Qualitätssicherung adäquat berücksichtigt werden. Qualitätssicherung muss auch solche Sondersitutationen abbilden und nicht dazu beitragen, Fälle mit erhöhten Eingriffsrisiken von vornherein zu vermeiden.  
 
Die geplante wirtschaftliche Sanktionierung von schlechter Qualität   kann auch einer sich erst langsam entwickelnden Kultur im Umgang mit Fehlern in der Medizin entgegen wirken und der Verschleierung risikoreicher Vorgehensweisen Vorschub leisten, wenn diese anhand der Daten nicht adäquat erkennbar sind.

Im strukturierten Dialog wird seitens rechnerisch auffälliger Kliniken häufig auf Sondersituationen hingewiesen. Aufgabe der Qualitätssicherung ist es, auch für Notfallsituationen, in denen der Patient durch die Schwere seiner Erkrankung eingeschränkt einwilligungsfähig ist oder sich in einer Zwangslage befindet, standardisierte Vorgehensweisen zu entwickeln, die das Risiko von Komplikationen minimieren. Voraussetzung sind entsprechende Indikatoren, für deren Definition Expertenmeinungen unerlässlich sind.

Es ist dem IQTIG zu wünschen, dass es auf der Grundlage des Methodenpapiers in einen konstruktiven Dialog mit Behandlern, Patienten, medizinischen Einrichtungen und politischen Interessengruppen eintritt mit dem Ziel, dass Qualitätssicherung als Anreiz zur ständigen Verbesserung gelebt wird.

Gerne stehen wir hier für einen weiteren Austausch zur Verfügung.

Berlin, 31. März 2017

Prof. Dr. med. Joachim Berkefeld, Frankfurt
Vorsitz. LL-Kommission der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie e.V.
Mitglied der Steuergruppe der S3-LL Carotisstenose

Prof. Dr. med. Arnd Dörfler, Erlangen
Präsident  der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie e.V.
Mitglied der Steuergruppe der S3-LL Carotisstenose

Weitere Unterzeichner der Stellungnahme:

Prof. Dr. med. Ansgar Berlis, Augsburg
Präsident des Berufsverbandes Deutscher Neuroradiologen e.V.

Prof. Dr. med. Christian Stroszczynski, Regensburg
Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und mininal-invasive Therapie

Prof. Dr. med. Dierk Vorwerk, Ingolstadt
Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft e.V.

Prof. Dr. Hans-Joachim Mentzel, Jena
1. Vorsitzender der Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie e.V.