Interview

Neue Alzheimer-Therapien: Warum Radiolog:innen ARIA kennen müssen

Neue Alzheimer-Therapien mit Anti-Amyloid-Antikörpern wie Lecanemab® oder Donanemab® eröffnen Betroffenen neue Chancen – stellen die Radiologie jedoch vor besondere Herausforderungen. Eine der wichtigsten: das Erkennen und Einordnen von ARIA (Amyloid-related Imaging Abnormalities), die im Zuge der Gabe von Amyloid-Antikörper-Präparaten auftreten können und mittels MRT erkannt werden. Im conrad-Vortrag “Neue Alzheimertherapien – Radiologische Begleitphänomene im Fokus“ gibt Prof. Dr. Elke Hattingen, Direktorin der Klinik für Neuroradiologie am Universitätsklinikum Frankfurt am Main, einen Überblick über die typischen MRT-Befunde, über die bildmorphologischen Verläufe und die Risikofaktoren von ARIA. Anhand vieler ARIA-Beispiele von Patient:innen mit Alzheimer-Erkrankung werden praktische Tipps für die Beurteilung der MRT-Befunde gegeben. Radiolog: innen erfahren, worauf sie bei Diagnostik, Befundung und Verlaufsbeurteilung achten müssen – und wie sie ihre Expertise optimal in das interdisziplinäre Alzheimer-Therapiemanagement einbringen können.

Frau Prof. Hattingen, ARIA – Amyloid-related Imaging Abnormalities – ist für viele noch ein Fachbegriff. Können Sie kurz erklären, was dahintersteckt und warum dieses Thema gerade jetzt so aktuell ist?

Im April 2025 wurde Lecanemab von der EU unter strengen Auflagen zugelassen, im Juli 2025 folgte die Empfehlung zur EU-Zulassung für Donanemab durch die EMA. Beide Medikamente sind humanisierte Anti-Amyloid-ß-Antikörper, die Immunzellen zur Entfernung von Amyloidablagerungen im Gehirn anregen. PET-Studien für alle bisher international bereits zugelassenen Wirkstoffe (Aducanumab, Lecanemab, Donanemab) zeigten eine starke Reduktion der zerebralen Amyloid-Belastung. Dennoch heilen die Präparate nicht, sondern verlangsamen lediglich den Krankheitsverlauf im Frühstadium. Die EU-Zulassung verzögerte sich vor allem wegen auffälliger MRT-Befunde (ARIA), die bei bis zu 40 Prozent der Patient:innen in den Zulassungsstudien beobachtet wurden. Das Spektrum dieser MRT-Veränderungen wird seit 2010 als Amyloid-Related Imaging Abnormalities (ARIA) bezeichnet.

Welche bildgebenden Merkmale sind typisch für Amyloid-related Imaging Abnormalities – und worauf sollte man im klinischen Alltag besonders achten?

Um ARIA zu erkennen, muss man die Pathophysiologie verstehen. Bei Alzheimer lagert sich Amyloid oft nicht nur im Hirngewebe, sondern auch an den Gefäßwänden vor allem nahe der Hirnoberfläche ab. Anti-Amyloid-Antikörper können hier Entzündungen verursachen, was zu einer undichten Blut-Hirn-Schranke führt. Dadurch entstehen fokale Ödeme, subarachnoidales Exsudat (Effusion) und Einblutungen wie superfizielle Siderose oder Mikroblutungen, die mit geeigneten MRT-Sequenzen frühzeitig erkennbar sind.
Den Radiolog:innen kommt die wichtige Aufgabe zu, ARIA frühzeitig mittels standardisierter MRT-Serien zu identifizieren, damit die Medikation bis zur Heilung der Bluthirnschranke pausiert werden kann. Die wichtigste Voraussetzung dafür sind Qualität und Vergleichbarkeit der MRT-Messungen, die standardisiert die gesamte Therapie überwachen. FLAIR-Sequenzen sind essenziell für Ödeme und Effusionen, T2-Gradienten für Siderose und Mikroblutungen – fehlerhafte Liquorunterdrückung in der FLAIR und zu große Schichtdicken können zu falschen Befunden führen.

Wie können diese Veränderungen bei ARIA differentialdiagnostisch beurteilt und abgegrenzt werden?

Die klinisch relevante Differenzialdiagnose stellt der akute ischämische Schlaganfall dar. ARIA kann sowohl klinisch als auch computertomografisch (CCT) eine Schlaganfall-Mimik zeigen; das CCT erweist sich bei akut-ischämischem Schlaganfall und milden ARIA-Formen als unauffällig oder nicht richtungsweisend. Eine irrtümlich durchgeführte thrombolytische Behandlung von Patient:innen mit ARIA führte vereinzelt zu letalen Blutungen. Daher ist es essenziell, dass alle behandelnden ärztlichen Fachkräfte, einschließlich Radiologie, diese Differenzialdiagnose berücksichtigen und bei Verdacht auf Schlaganfall zeitnah ein MRT veranlassen: ARIA ist – im Gegensatz zum frischen Infarkt – DWI-negativ. Im MRT lässt sich ARIA in der Regel eindeutig identifizieren: Neu aufgetretene, typische FLAIR- oder T2*GE-Läsionen unter laufender Therapie sind primär als ARIA zu werten, vorausgesetzt, die MRT-Kontrollen erfolgen standardisiert und absolut vergleichbar – idealerweise stets am selben Gerät und mit identischen Sequenzen – und jedes MRT wird sorgfältig mit der Voruntersuchung sowie dem Ausgangs-MRT vor Therapiebeginn abgeglichen. Nur durch dieses Vorgehen können vorbestehende Mikroblutungen oder Gliosen nicht fälschlicherweise als ARIA interpretiert werden. Bei qualitativ minderwertigen FLAIR-Sequenzen besteht zudem das Risiko, dass eine unzureichende Liquorunterdrückung fälschlich als Effusion gewertet wird.

Was bedeutet der ARIA-Befund für den: die Alzheimer-Patient:innen hinsichtlich des weiteren Therapieverlaufs?

Für Alzheimerpatient:innen bedeutet es in der Regel, dass eine Therapiepause genügt, und diese fortgesetzt werden kann, wenn sich die Ödeme und Effusionen (ARIA-E) zurückgebildet haben. Blutungsreste bleiben bestehen, da sich Hämeisen als Ferritin ablagert und im T2-Gradienten sichtbar bleibt. Über die Wiederaufnahme der Therapie entscheiden die Patient:innen zusammen mit den behandelnden Ärzt:innen, sowie die Richtlinien, die für die Zulassung des entsprechenden Medikaments festgelegt wurden.

Für Ihren Vortrag konnten Sie auf exklusive Studiendaten im Rahmen von Zulassungsverfahren von Antikörper-Präparaten zurückgreifen. Was hat Sie an den Bilddaten am meisten überrascht und worauf muss die Befundung am stärksten fokussieren?

Ich möchte nicht vorgreifen und lade Sie ein, meine Eindrücke im Vortrag visuell nachzuvollziehen. Da ich aus Sicherheitsgründen die Klinik der Patient:innen nicht kannte und einen ausgewählten Datensatz erhielt, werde ich mich dort auf die MR-morphologischen Charakteristika konzentrieren. Die Erkennung der vier ARIA-Manifestationen ist mit etwas Übung gut möglich. Ohne Vorwissen und Training können Radiolog:innen dieser Aufgabe jedoch nicht gerecht werden.

Neue Alzheimer-Antikörper wie Lecanemab® oder Donanemab® bringen für die Radiologie neue Aufgaben. Welche Rolle spielen Radiolog:innen im Therapiemanagement dieser Patient: innen und wie können sie die neue Aufgabe am besten meistern?

Die Nebenwirkungen der Therapie zeigen sich überwiegend als MR-radiologisch sichtbare Veränderungen im Gehirn, die bei vier von fünf Patient:innen entweder nicht oder lediglich durch leichte enzephalopathische Symptome wie Kopfschmerzen und Schwindel bemerkbar sind. Die Rolle der Radiolog:innen besteht darin, solche fokalen Störungen der Blut-Hirn-Schranke frühzeitig zu erkennen und somit das Therapiemanagement zum Schutz vor größeren Schäden zu beeinflussen. Es ist derzeit schwierig abzuschätzen, wie viel Patient:innen künftig für diese Therapien infrage kommen; Schätzungen gehen von etwa 10 Prozent der Alzheimerpatient:innen aus. Bei einer angenommenen Anzahl von 1,2 Millionen Erkrankten wären dies circa 120.000 Menschen, die regelmäßig MRT-Kontrollen benötigen werden. Da das ARIA-Risiko besonders in den ersten Monaten nach Beginn der Therapie erhöht ist, werden häufigere MRT-Kontrollen erforderlich sein, wobei die Vergütung hierfür nicht geklärt ist. Darüber hinaus ist es aus fachlicher Sicht notwendig, dass Radiolog:innen standardisierte MRTs mit FLAIR und T2-Gradienten in guter Qualität anfertigen, Zugang zu allen Verlaufskontrollen haben und die Befunde sorgfältig bewerten. Diese Voraussetzungen sind in der aktuellen Praxis der Radiologie nicht immer gegeben.

Mit den beiden zugelassenen Präparaten steht nun erstmals eine kurative Therapie bei Morbus Alzheimer zur Verfügung – wo sehen Sie die weiteren therapeutischen Entwicklungen bei dieser gefürchteten Erkrankung?

Es ist erfreulich, dass es nun Therapien für schwere neurologische Erkrankungen gibt. Der Behandlungserfolg wird wahrscheinlich nur im multimodalen Ansatz gelingen; insbesondere Lebensstil und geistige Aktivität sind wichtige präventive Faktoren. Neben Amyloid rückt Tau als weiteres Ziel in den Fokus, und guter Schlaf fördert ebenfalls die Entsorgung schädlicher Stoffe. Problematisch bleibt, dass Patient:innen mit hohem genetischem Alzheimer-Risiko auch am anfälligsten für ARIA sind; ein Ausschluss dieser Gruppe von der Therapie ist jedoch keine optimale Lösung.