Diagnostik des zerebralen Zirkulationsstillstandes (Hirntoddiagnostik)

Radiologen und Neuroradiologen haben eine verantwortungsvolle Aufgabe erhalten

Zuletzt aktualisiert: Montag, 24. Oktober 2016

Professor Dr. med. Heinrich LanfermannProfessor Dr. med. Heinrich LanfermannDer irreversible Hirnfunktionsausfall, bisher als „Hirntod“ bezeichnet, stellt eine diagnostische Herausforderung dar – gerade auch für die Bildgebung, der mit der jüngsten Novelle der diagnostischen Richtlinien eine Schlüsselrolle zukommt. Der Neuroradiologe Prof. Dr. Heinrich Lanfermann, Direktor des Instituts für Diagnostische  und Interventionelle Neuroradiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, hat als Sachverständiger der Bundesärztekammer an den Richtlinien mitgewirkt.

Im Juli 2015 ist die aktuelle „Richtlinie zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms“ der Bundesärztekammer in Kraft getreten. Welche Rolle spielt die Radiologie in  diesem diagnostischen Verfahren – Stichwort CT-Angiografie?

Erstmals wurde in der aktuellen Version von 2015 die CT-Angiografie (CTA) als ergänzendes, apparatives Untersuchungsverfahren zur Feststellung des zerebralen Zirkulationsstillstandes zugelassen. Der Zirkulationsstillstand ist häufig Ursache des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls – wird er nachgewiesen, sind potentiell reversible Ursachen der klinischen Ausfallsymptome ausgeschlossen. Damit kann die Irreversibilität des Hirnfunktionsausfalls ohne Wartezeit und Verlaufsuntersuchung festgestellt werden.

Warum wurde die CT-Angiografie als Verfahren ausgewählt?

Eine erste größere Studie zur Zuverlässigkeit der CTA bei der Erfassung des zerebralen Zirkulationsstillstandes wurde 1998 von Dupas et al. publiziert. Aufgrund der sehr guten Ergebnisse wurde die CTA zuerst in Frankreich, später in weiteren Ländern für die Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalles  zugelassen. Eine Cochrane-Analyse zu diesem Thema kam 2014 zu dem Ergebnis, dass ein zerebraler Zirkulationsstillstand bei bestehendem Hirnfunktionsausfall mit einer Sensitivität von 85% ermittelt werden kann. Der fehlende Nachweis bei 15 % der Patienten war im Wesentlichen auf traumatische oder iatrogene Eröffnungen der Kalotte zurückzuführen, dies kann den Anstieg des intrakraniellen Druckes über den arteriellen Mitteldruck verhindern. War mittels CTA ein zerebraler Zirkulationsstillstand dokumentiert worden, wurde auch der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms bestätigt.

Gibt es ein standardisiertes  Untersuchungs-Protokoll?

Um eine möglichst hohe Sensitivität sicherzustellen, wurde von den Autoren der bereits genannten Cochrane-Analyse die Festlegung eines Standardprotokolls für die Durchführung der CTA empfohlen. Dies wurde in den nun gültigen deutschen Richtlinien erstmals umgesetzt. Hinsichtlich der Beurteilung der CTA ist das sog. „stasis filling“, die langsam progrediente Ausbreitung  des Kontrastmittels in den intrakraniellen Arterien bei sistierender zerebraler Zirkulation, zu berücksichtigen. Daher wurde basierend auf der größten deutschen Studie zu diesem Thema das aktuell gültige CTA-Standardprotokoll so festgelegt, dass mit möglichst gutem Kontrast und Begrenzung auf die arterielle Phase der CTA eine sichere Aussage darüber möglich ist, ob eine zerebrale Zirkulation noch besteht oder bereits ein Stillstand eingetreten ist.

An welchen Häusern sollte die CTA zur Beurteilung des zerebralen Zirkulationsstillstandes durchgeführt werden?

In Deutschland haben wir die günstige Situation, dass – aufgrund der breiten Anwendung der Interventionellen Therapie beim Schlaganfall – die CTA in allen größeren Krankenhäusern auf hohem Niveau eingesetzt wird. Hier wird auch die Durchführung einer CTA zur Feststellung des zerebralen Zirkulationsstillstandes zuverlässig möglich sein. Die Auswertung sollte durch Radiologen mit mehrjähriger Erfahrung in der Neuroradiologie oder durch Neuroradiologen erfolgen. Die Umsetzung der aktuellen Richtlinien ist nicht aufwändig, erfordert aber eine sorgfältige Vorbereitung. Zu empfehlen ist, das frei verfügbare, standardisierte CTA-Protokoll zu studieren und am CT-Arbeitsplatz zu hinterlegen.

An wen können sich die Fachkollegen im Zweifelsfall wenden?

Sowohl das CTA-Protokoll als auch die Auswertekriterien sind so festgelegt worden, dass eine zuverlässige Beurteilung möglich ist. Daher gab es bisher kaum Nachfragen hinsichtlich des Verfahrens. In Einzelfällen wurden Ergebnisse von CTAs bemängelt, die nicht nach den aktuellen Standards, sondern anhand des Protokolls älterer internationaler Studien mit einer zusätzlichen venösen Phase und damit verstärktem „stasis filling“ durchgeführt wurden und damit Probleme bei der Bewertung verursachten. Mit dem aktuellen CTA-Standard-Protokoll sollte dieses Problem weitgehend vermieden werden. Falls es doch einmal Fragen geben sollte, könne diese gerne an mich gestellt werden.

Für 2017 steht eine erneute Fortschreibung der Richtlinie an. Rechnen Sie mit einschneidenden Änderungen?

Die 2015 aktualisierten Richtlinien werden in regelmäßigen Abständen überprüft. Da bisher keine grundlegend neuen Erkenntnisse hinsichtlich der CTA zur Feststellung des zerebralen Zirkulationsstillstandes publiziert wurden, erwarte ich für 2017 keine einschneidenden Änderungen.

Weitere Informationen:

Das komplette CT-Protokoll und ausführliche Literaturangaben finden Sie in: 

Lanfermann H, Schober O. Imaging of Irreversible Loss of Brain Function. Fortschr Röntgenstr 2016; 188: 23 – 26

https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0041-108202

Lanfermann H, Gotz F, Raab P. Einsatz der CT-Angiographie zur Feststellung des zerebralen Zirkulationsstillstandes. Clin Neuroradiol 2015;25:329–233 (open access)

https://www.springermedizin.de/einsatz-der-ct-angiographie-zur-feststellung-des-zerebralen-zirk/7984780